Koreanischer Elektro-Riese

28.11.2024

Kia EV9 GT-Line

Fünf Meter lang, zwei Meter breit, über drei Meter Radstand und mindestens 2,5 Tonnen schwer. Das ist Kias Topmodell, der SUV EV9. Als GT-Line – den wir fuhren - verfügt er noch über einen 100 kWh Akku sowie zwei E-Maschinen mit insgesamt 384 PS und damit auch Allradantrieb und ist damit eine echte Ansage der Koreaner in diesem Segment. Der EV9 ist gebaut für die Langstrecke und den Großraumtransport: Sieben Sitzplätze und dazu noch ein annehmbares Gepäckabteil sind serienmüßig.

Das kantige, charakteristische Design der Kia Elektromodelle mit der bulligen Front zeigt ein LED-Tagfahrlicht und die LED-Rückleuchten die in ihrer Darstellung an Sternbildern erinnern. Trotz aller Kantigkeit ist die Aerodynamik (cW-Wert: 0,28) überraschend gut. Dazu tragen aktive Luftklappen und "Air Curtains" im Frontstoßfänger bei. Die beiden Elektromotoren schieben kräftig, aber nicht ruckartig an. Künstlicher Motorsound ist in drei Stufen aktivierbar, die Rekuperation ist manuell über Lenkrad-Paddles regelbar.

Das Fahrwerk ist klar auf Komfort ausgelegt. Die Traktion ist dank Allrad souverän, die Bremsen haben den schweren Koloss gut im Griff. Masse und Luftwiderstand sorgen letztendlich auch für einen gewissen Energiebedarf. Trotzdem schafften wir im urbanen Gebiet den Durchschnitts-verbrauch unter 20 kWh/100 km zu drücken, über 400 Kilometer Reichweite sind damit durchaus schaffbar. Klar wächst der Stromdurst auf längeren, schnelleren Autobahnabschnitten dann auch schon mal gegen 27 kW/h im Schnitt. Dank der 800-Volt-Schnellladetechnologie lässt sich der 99,8-kWh-Akku unter Idealbedingungen in 24 Minuten von 10 auf 80 Prozent aufladen. Der Onboard-Lader schafft da eine hohe Gleichstrom-Ladeleistung von bis zu 240 kW.

Die 283 kW/385 PS und das maximale Drehmoment von 700 Nm der GT-line-Variante machen sich positiv bemerkbar und bewegen den Koloss überraschend agil. Auch Überholmanöver sind schnell erledigt, von 80 auf 120 km/h geht es in 3,4 Sekunden. Gut abgestimmt wirkt auch der Wechsel zwischen Rekuperation und Segeln (Dahingleiten ohne Antrieb). Der EV9 ist zudem als "fahrende Powerbank" konzipiert und kann den Strom aus der Batterie an das eigene Haus oder sogar ins öffentliche Netz abgeben.

Das Cockpit des EV9 ist, wie bei Kia üblich, sehr digital - gewöhnungsbedürftig sind die nicht beleuchteten Tasten in der mittigen Zierleiste, weil nur schwer zu "treffen". Hier ging Form vor Funktion. Der Fahrersitz ist auf Knopfdruck in eine bequeme "Relax"-Position zu bringen, zudem kann sich der Fahrer mit der Massagefunktion verwöhnen lassen. Das Gestühl in der zweiten Reihe ist auch mit zwei drehbaren Einzelsitzen - schwenkbar um 90 oder 180 Grad - orderbar. Damit können Kindersitze leichter befestigt werden, oder die Passagiere der zweiten und dritten Reihe eine "Face tu Face-Konferenz" abhalten.

Dieser Riese hat aber auch seinen Preis. Allerdings ist der EV9 als vollelektrischer Siebensitzer noch eine echte Rarität am Markt. Die Preisliste startet bei 60.090,- € für den Hinterradgetriebenen 203 PS starken EV9, in der von uns gefahrenen GT-Line schlägt er mit 85.590,- € zu Buche.


Technische Daten: Kia EV9 GT-Line

Motor: Jeweils ein Permanant-Elektromotor mit 141,3 kW an der Vorder- und Hinterachse, Systemleistung 283 kW / 385 PS, 700 Nm max. Drehmoment

Batterie: 99,8 kWh

Reichweite: 505 km (WLTP), Testreichweite 430 km

Laden: AC-Ladeleistung 11 kW

max. DC-Ladeleistung 240 kW

DC-Ladedauer (10-80%) 0:24 h

CO2: 0 g/km

Antrieb: Allradantrieb, Reduktionsgetriebe

Spitze: 200 km/h

Testverbrauch: 19,3 - 26,6 kWh/100 km

Kofferraum: 333 – 2.393 Liter + 52 l Frunk

Sitzplätze: 7 (6)

Preis: ab 60.090,- € (2WD); Testwagen 85.590,- € (jeweils 0% NOVA)


Kia EV9 auf der Langstrecke

Elektro auf der Langstrecke? Für viele noch ein No-Go! Kia liefert mit dem EV9 ein Gegenargument: Jede Menge Innenraum, kräftige Motorisierung, über 500 Kilometer Reichweite nach WLTP-Norm und eine Anhängelast von bis zu 2,5 Tonnen (gebremst). Wir machten den Test: Von Perchtoldsdorf bei Wien nach Porec und wieder zurück.

Abfahrt mit voller Batterie. Wir wählen die Route über den Semmering, und das Mürztal Richtung Süden. Nicht nur reine Autobahn, sondern auch Schnellstraße und Überlandroute. Erster Ladestopp in Scheifling am Fuße des Perchauer Sattels nach etwas mehr als zwei Stunden und 222 Kilometer. Die Batterie ist noch zu 45 % gefüllt – wir laden trotzdem. Kaffeepause, in etwas mehr als 20 Minuten wieder auf 80 %, die Fahrt geht weiter.

     Erster Ladestopp in Scheifling am Fuße des Perchauer Satells

Nach einer Stunde Fahrzeit nochmals 15 Minuten laden vor der Grenze zu Slowenien bei Inter Auto Klagenfurt. Mit fast 90 % Ladung geht´s über den Loiblpass nach Slowenien und dort auf der E61 über Laibach Richtung Koper, dann weiter über Landstraßen nach Kroatien. Ankunft in der Ferienanlage Solaris bei Novigrad nach knapp sieben Stunden und 533 Kilometer sowie 43 Prozent Restladung im Akku.

Ankunft im Feriendorf Solaris, keine Lademöglichkeit in Novigrad

Die Fahrt in den Süden zeigte sich problemlos, das Laden in Kroatien allerdings mit leichten Herausforderungen. In Novigrad, einem beliebten Urlaubsziel in Kroatien, gibt es keine einzige Ladestation! Ausweichen nach Porec südlich der Ferienanlage. Eine Schnellladestation auf dem Weg dorthin ist außer Betrieb. Zwei weitere Schnellladestationen im Einkaufszentrum von Porec sind besetzt….

Ich suche weiter, werde auf einem Parkplatz im Zentrum fündig – 55 kWh sind möglich. Kurzer Bummel durch die schöne Stadt Porec, dann ist die Batterie zu 90 Prozent für die Heimfahrt geladen. Zurück geht es auf die gleiche Weise, der lange Anstieg zum Loiblpass – immerhin von Meereshöheweg – ist ein echter "Stromzieher". Aber ich erreiche mit ausreichenden Reserven wieder Klagenfurt und die nächste Schnelladestation. Über die A2 geht es wieder problemlos zurück nach Perchtoldsdorf.

Die Ladesäule am Parkplatz in Porec funktioniert

Fazit: Eine entspannte Reise in den Süden und zurück. Wenn die Ladestopps gut geplant werden ist es easy so zu Reisen und macht richtig Spaß. Mit dem Kia EV9 ist auch eine Autobahnreisegeschwindigkeit von 130 km/h kein Problem.

Michael Stenzel